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Traditionelles Wissen und demokratische Innovation

Lehren aus der ersten Klimabürgerversammlung im Amazonasgebiet

Die Potenziale deliberativer Bürgerbeteiligung sind groß. Nicht nur im europäischen Kontext sondern auch unter ganz anderen Rahmenbedingungen. Besonders in Lateinamerika erleben demokratische Innovationen, wie beispielsweise Bürgerräte, aktuell starken Aufwind. Ein Einblick in die Herausforderungen und Lösungen des ersten Klimabürgerrats im Amazonasgebiet.

Bürgerräte sind deliberative Foren, die aus zufällig ausgewählten Bürger*innen bestehen und damit ein verkleinertes Abbild der Gesellschaft darstellen. Die Teilnehmenden setzen sich mit komplexen Fragestellungen auseinander, beraten über mögliche Lösungsansätze unter Berücksichtigung vielfältiger Perspektiven und entwickeln gemeinsam Empfehlungen. Ihre zunehmende Akzeptanz lässt sich auf die Evidenz zurückführen, dass sie wissensbasierte politische Ergebnisse hervorbringen [1], Polarisierung verringern [2], das politische Selbstwirksamkeitsempfinden von Bürger*innen stärken [3] und systemisches politisches Denken fördern [4].

Erstmals von Prof. Peter Dienel in den 1970er-Jahren in Deutschland unter dem Begriff „Planungszellen“ entwickelt, haben Bürgerräte seither weltweit an Bedeutung gewonnen. Bis zum Jahr 2023 wurden weltweit über 700 Bürgerräte durchgeführt – vor allem in OECD-Staaten [5]. Allein in Deutschland gab es seit 1972 insgesamt 337 Bürgerräte [6]. In jüngerer Zeit sind rund 25 Fälle in Lateinamerika hinzugekommen, insbesondere in Brasilien, Argentinien, Kolumbien, Mexiko und Peru. Diese Initiativen haben innovative Umsetzungsansätze hervorgebracht und den praxisorientierten Austausch zwischen dem Globalen Norden und Süden gefördert.

Lateinamerika bietet ein besonders vielversprechendes Umfeld für demokratische Innovationen, geprägt durch spezifische politische, soziale und kulturelle Dynamiken. Obwohl bislang nur wenige Initiativen umfassend auf internationaler Ebene untersucht wurden – wie etwa Bürgerhaushalte in Brasilien – stoßen ihre institutionellen Rahmenbedingungen weiterhin auf weltweite Aufmerksamkeit und wecken hohe Erwartungen an Bürgerbeteiligung in der Region. Die Länder Lateinamerikas erlebten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Phase der Redemokratisierung, in deren Zuge Verfassungen verabschiedet wurden, die Bürgerbeteiligung als Schutzmechanismus gegen die Rückkehr autoritärer Herrschaft institutionalisierten.

Zivilgesellschaftliche Organisationen – wie Delibera Brasil (Brasilien), Democracía en Red (Argentinien), Extituto de Política Abierta und Ideemos (Kolumbien) sowie das Instituto del Sur Urbano (Mexiko) – sind entstanden, um demokratische Praktiken in ihren jeweiligen Ländern zu stärken. Ihre Arbeit reicht inzwischen über lokale Bürgerräte hinaus und umfasst transnationale Initiativen wie das Programm (re)surgentes, das darauf abzielt, Entscheidungsmacht in der Klimakrise an Bürger*innen der Region zu übertragen.

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Marcella Nery ist Bundeskanzler-Stipendiatin der Alexander von Humboldt-Stiftung an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Ihre aktuelle Forschung konzentriert sich auf die Einbeziehung marginalisierter Gruppen in Bürgerräten in Brasilien und in Deutschland. Zuvor war Marcella als Koordinatorin bei Delibera Brasil tätig, einer gemeinnützigen, überparteilichen Organisation, die sich der Stärkung der Demokratie durch die Förderung von Bürgerbeteiligung in Brasilien widmet.
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