Überlegungen zu Begrifflichkeiten in der politischen Partizipation

von Oliver Kuklinski

Keine politische Rede, in Kommunalwahl-kämpfen, auf Landes- wie auf Bundes-ebene und auch im europäischen Kontext kommt ohne Lippenbekenntnisse für die Beteiligung der Bürger*innen aus. In Reden wie auch in der Diskussion um politische Partizipation spielt die Wahl der Begriffe eine große Rolle. Begriffe wie “Abholen” und “Mitnehmen” haben sich eingebürgert, um den Prozess der Einbindung von Bürger*innen in politische Entscheidungsfindungen zu beschreiben.

Auch kaum eine Talkshow, gleichgültig zu welchem Thema, kommt ohne „Mitnehmen“ und/oder „Abholen“ aus. Dabei ist es wichtig, zu erkennen, dass diese Begriffe implizite Konnotationen tragen, die möglicherweise nicht die gewünschten Aspekte einer gleichberechtigten und wirkungsvollen Partizipation widerspiegeln, sondern im Gegenteil, tradierte obrigkeitsstaatliche Narrative bedienen.

“Abholen” suggeriert, dass Bürgerinnen passiv sind und von politischen Akteuren an einen bestimmten “Ort” gebracht werden müssen. Dies könnte die Vorstellung verstärken, dass Bürger*innen ohne die Führung von “Eliten” nicht in der Lage sind, sich selbst zu engagieren. Ich meine, solch eine Perspektive untergräbt verbal die Eigeninitiative der Bürger*innen und stellt ihre Fähigkeit zur eigenständigen politischen Beteiligung infrage.

Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff “Mitnehmen”. Dieser impliziert, dass politische Akteure die Hauptakteure sind, während die Bürger*innen lediglich mitgenommen werden, ohne aktiv an der Gestaltung politischer Prozesse teilzunehmen, geschweige denn, diese selbst zu initiieren. Die Zuschreibung einer solchen passiven Rolle entwertet die wahre Bedeutung von Partizipation, indem sie Bürger*innen die Chance nimmt, als aktive Gestalter der politischen Landschaft aufzutreten bzw. wahrgenommen zu werden.

Es ist an der Zeit, über die Verwendung von Begriffen nachzudenken, die eine aktive und gleichberechtigte Beteiligung der Bürger*innen besser widerspiegeln. Statt “Abholen” und “Mitnehmen” sollten Begriffe wie: “Ermächtigen”, “Ermuntern”, “Zusammenarbeiten” oder “Kooperieren” genutzt werden. Diese Begriffe betonen die Idee, dass politische Partizipation auf einer gemeinsamen Anstrengung basiert, bei der sowohl Bürger*innen als auch politische und Verwaltungs-Akteure aktiv und gleichberechtigt zusammenarbeiten.

Eine präzise und respektvolle Sprache in Bezug auf politische Partizipation ist angezeigt, um eine echte Kultur der Gleichberechtigung und Kooperation zu fördern. Durch die Wahl von Begriffen, die die Selbstbestimmung und aktive Beteiligung der Bürgerinnen betonen, können wir sicherstellen, dass politische Partizipation nicht nur als eine Handlung verstanden wird, bei der Bürger*innen (passiv) “abgeholt” oder “mitgenommen” werden, sondern als einen aktiven Prozess, bei dem alle Beteiligten gemeinsam an der Gestaltung unserer Gesellschaft mitarbeiten.

Historisch belastete Begriffe vermeiden

Darüber hinaus haben die Begriffe “Mitnehmen” und “Abholen” im Kontext der Verfolgung politischer Gegner und der rassistischen Praxis im Dritten Reich und in anderen unterdrückerischen Systemen eine sehr bedrückende Bedeutung. Diese Begriffe wurden und werden euphemistisch verwendet, um brutalste Handlungen zu beschreiben, die mit systematischen Verhaftungen, Verschleppungen, Verfolgungen und Vernichtung verbunden waren und sind.

Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden politische Gegner, Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle und andere als “feindliche Elemente” betrachtet. Die Gestapo und andere staatliche Organe verwendeten den Begriff “Abholen”, um Verhaftungen von Menschen durchzuführen, die als politisch oder rassisch unerwünscht galten. Diese Personen wurden oft aus ihren Häusern oder Gemeinschaften “abgeholt” und unter brutalen Bedingungen festgenommen. In Anbetracht dieser Zusammenhänge ist es angebracht unsere Sprache, auch in Bezug auf die politische Partizipation, nicht nur semantisch, sondern auch historisch sensibel zu wählen.

 

 

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